Wo steht die ARD aktuell?

Ein Gastbeitrag des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke über die prägenden Themen der nächsten Monate, wichtige Fortschritte im Medienverbund und persönliche Empfindungen in seiner neuen Rolle.

Ehrlicherweise habe ich das Jahr mit einem mulmigen Gefühl begonnen. Das Timing des ARD-Vorsitzes hat den SWR überrumpelt, ein Jahr früher als gedacht, wie Kai aus der Kiste, wenn der Scherz auf meine Kosten erlaubt ist. Die zusätzliche Aufgabe rang mir Respekt ab, zumal wir im Südwestrundfunk selbst mitten in einem eigenen, enormen Transformationsprozess stecken. Würden wir den SWR nun für zwei Jahre in die Gefriertruhe stecken müssen? Heute weiß ich: Das wäre unverantwortlich. So sehr der ARD-Vorsitz eine Bürde ist, so sehr liegt auch eine Chance darin.

Meine Bilanz nach den ersten drei Monaten: noch immer gehe ich pfeifend an meinen Arbeitsplatz, obwohl ich im Büro, auch das gehört zum neuen Arbeitsalltag, deutlich seltener anzutreffen bin. Mein Büro ist nun oft ein rollendes Homeoffice: mein Schreibtisch ist der Rücksitz des Dienstwagens, in dem ich stundenlang telefoniere oder schreibe, auf den langen Fahrten durch die Republik. Ich besuche andere Medienhäuser, um mit den Mitarbeitenden dort zu sprechen und vor allem zuzuhören. Manche Termine bringen mich zu Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten oder zu Anhörungen vor diskussionsfreudigen Kommissionen und Ausschüssen.

Mein Selbstverständnis ist das des Klassensprechers, ich bin nicht der CEO der ARD. Wir sind ein Verbund aus neun eigenständigen, selbstbewussten Landesrundfunkanstalten, aber noch nie habe ich einen solchen einheitlichen Aufbruchsgeist, soviel Leidenschaft und Mut zur Veränderung verspürt wie jetzt. Neun Intendantinnen und Intendanten haben sich in die Hand versprochen, das größte Reformvorhaben in der Geschichte der ARD umzusetzen. Das tun wir gemeinsam, aus einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung heraus. Dass wir Anlass zu Kritik gegeben haben, brauche ich nicht zu wiederholen, das Vertrauen der Menschen in Deutschland in uns ist mehr als strapaziert. Doch die Ära Schlesinger ist vorbei. Das beweisen wir täglich. In für ARD-Verhältnisse atemberaubendem Tempo haben wir Reformen angeschoben, begleitet von konstruktiven und kritischen Impulsen aus der Politik und den Aufsichtsgremien. Im Sommer werden wir erste Ergebnisse vorlegen können, noch im Laufe dieses Jahres werden die Menschen in Deutschland die Konturen der neuen ARD erleben.

Was heißt das konkret? Wir haben zuallererst unseren Teil dazu beigetragen, dass die unabhängigen Kontrollorgane ihre Aufsicht stärken können. Auch mich haben die Missstände beim rbb erschüttert, weswegen ich den 4. Medienänderungsstaatsvertrag begrüße, der mehr Transparenz und Compliance, schärfere Gremienaufsicht und das Vermeiden von Interessenkollisionen vorsieht. Das haben wir in der ARD umgesetzt, übrigens schon bevor das Gesetz in Kraft tritt.

Und im Programm? Wir bauen um, wir modernisieren, wir schaufeln Ressourcen vom Linearen ins Digitale, jährlich bereits heute einen dreistelligen Millionenbetrag. Dazu heißt das Gebot der Stunde: Kräfte bündeln, Zusammenarbeiten, nach innen und außen. Gerade vor wenigen Tagen ist erfolgreich das Streaming-Netzwerk mit dem ZDF gestartet. Die ARD Mediathek empfiehlt den Nutzerinnen und Nutzer nun Inhalte des ZDF und umgekehrt. Aber Kräfte bündeln wir auch innerhalb der ARD. Wir werden journalistische Kompetenzzentren einführen, damit nicht jeder Landessender für jedes Ressort eine eigene Fachredaktion vorhalten muss. Im Radiobereich suchen wir Synergien über Pool-Lösungen, um die Sender zu entlasten, die bislang ihr Programm rund um die Uhr alleine bestreiten. Auch prüfen wir die Möglichkeit gemeinsamer Sendestrecken in den Dritten Programmen. Schließlich entschlacken wir unsere Social-Media-Kanäle, damit die Angebote übersichtlicher für die entsprechenden Zielgruppen sind. Wir werden, so wie es der 3. Medienänderungsstaatsvertrag erlaubt, einen linearen Fernsehkanal einstellen. Alle diese Reformen sind ein enormer Kraftakt und alles andere als trivial. Wie sie operativ umgesetzt werden, erarbeitet eine Steuerungsgruppe von elf Expertinnen und Experten aus den Häusern der ARD, erste Ergebnisse erwarten wir im Sommer.

Ob wir dafür auch jahrzehntelang etablierte Strukturen der ARD loslassen müssen? Ja, bitte! Möglicherweise wird an der ein oder anderen Stelle der Abschied schmerzen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch Weglassen an der richtigen Stelle Kräfte gewinnen, die unsere journalistische Exzellenz zum Leuchten bringen. Denn das ist für mich nicht verhandelbar: journalistische Qualität – da werden keine Abstriche gemacht. Genauso wie die regionale Verankerung der ARD – wir sind und bleiben in den Regionen zu Hause.

Sichtbar wird das beispielsweise im SWR bei der Radiowelle SWR4: Hier werden die beiden Landeswellen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz enger zusammenrücken. Damit schaffen wir Doppelstrukturen ab, um die Kosten zu senken – und sichern genau damit der Regionalität eine Zukunft. Es ist mir ein Anliegen, das immer wieder zu betonen. Regionalität ist unsere DNA, daran wird nicht gerüttelt.

In den ersten drei Monaten des Jahres haben die neun Landesrundfunkanstalten eine Vielzahl von Prozessen angestoßen. Vor uns liegt ein Riesenreformpaket und verdammt viel Arbeit. Ab jetzt müssen die Räderwerke der ARD ineinandergreifen. Wir arbeiten an der neuen ARD. Ich bitte alle Beteiligten darum, dieses ambitionierte Projekt für mehr Exzellenz und Effizienz zu unterstützen und die Modernisierung der ARD mitzutragen.

19.4.2023