Von 1994 bis 2023 war Ulf Birch in den NDR-Gremien vertreten und hat sich bis zur Neukonstituierung des NDR-VR im Juni zehn Jahre lang auch auf Ebene der ARD-GVK engagiert. Seine Erfahrungen hat er verschriftlicht – in einen Beitrag zur Reform der ARD in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.
Aus Sicht der Beschäftigten hat die Ankündigung von "Reformen" in der ARD meist Alarmsignale ausgelöst. Die durch Kostendruck seitens der Politik und der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) getriebenen Sender verbanden Reformen meist mit Kürzungsprogrammen und Personalabbau. Mit immer weniger Beschäftigten wird heute immer mehr produziert. Dies führt oftmals zur Arbeitsverdichtung und Arbeitsüberlastung der Mitarbeitenden, wie man jüngst im Klimabericht von Dr. Reimers im NDR nachlesen konnte. Die ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) hat in ihrer Positionsbestimmung zum Reformbedarf in der ARD im November 2022 betont, dass die bloße Streichung von Sendungen oder die Zusammenlegung von Kanälen noch kein Reformkonzept ist.
Vielfach wurden programmliche Reformvorschläge aus den Gremien nicht oder nur zögerlich aufgegriffen – wie z.B. die jahrelange Kritik und Diskussion um Moderation, Themen und Gäste der Talkshows belegt. Erfreulich hingegen entwickelten sich die 2017 auf den Weg gebrachten internen Strukturreformen in der ARD, die auch zu erheblichen Einsparungen führten. Sicher gibt es auch hier Licht und Schatten, wenn ich einerseits z.B. die positive Entwicklung der Archive betrachte, andererseits aber die Hürden beim SAP-Projekt sehe, die es zu überwinden gilt. Leider haben weder die KEF noch die Länder diese enormen Anstrengungen hinreichend gewürdigt.
Die föderale Struktur der ARD zeigte sich immer wieder als Reformbremse, deshalb gelangen oft nur kleine Reformschritte, um alle Sender auf den vereinbarten Weg mitzunehmen. Zu stark ausgeprägt ist die Kirchturmspolitik sowie das jeweilige Standortinteresse der Sender, aber auch der Politik. Warum können die Intendantinnen und Intendanten die ARD nicht als eine Art Holding lenken und so auch gegenüber der KEF besser aufstellen, ohne die Identität und Autonomie der Sender aufzugeben?
Nun liegt seit Juni ein großes Reformpaket der ARD auf dem Tisch, nachdem auch die Rundfunkkommission der Länder mehrmals ihren Reformbedarf artikuliert hatte. Das Reformpaket ist umfassend und detailliert, leider in die Öffentlichkeit zu allgemein kommuniziert. Die jetzigen Beschlüsse stellen einen neuen Ansatz dar, dessen vielfältige Chancen mutig genutzt werden sollten. Ich habe den Eindruck, dass Vorschläge der GVK zum Ausbau des Netzwerkcharakters der ARD dabei aufgegriffen werden, wobei es auf die Umsetzung ankommt.
Mein Fazit: Die Rundfunk- und Verwaltungsräte sollten sich engagiert in den Reformprozess einbringen und ihn kritisch und konstruktiv begleiten! Die GVK hat angeboten, dabei als Scharnier unterstützend mitzuwirken.
1. Das Gelingen der Programmreform der ARD unter erheblichem Zeitdruck ist für mich das oberste Ziel, einhergehend mit der Entwicklung neuer, interessanter Angebote, für die aber auch offensiv geworben werden muss. Das Erreichen jüngerer Zielgruppen ist unabdingbar. Dabei hilft eine gezielte Angebotssteuerung, um alle Bevölkerungsgruppen in das Gespräch einzubeziehen und verlorenes Vertrauen als Folge des rbb-Skandals zurück zu gewinnen.
2. Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss auf einer soliden Basis stehen. Die Rundfunkbeiträge sind der Kostenentwicklung anzupassen; die bedarfsgerechte Anmeldung bei der KEF sollte mutig verteidigt und öffentlich begründet werden. Nach wie vor besteht Reformbedarf im Verfahren zur Ermittlung des Finanzbedarfs. Das von der GVK in Auftrag gegebene Gutachten ist weiterhin aktuell, auch wenn die KEF bei sich keinen Modernisierungsbedarf sieht und die ARD die Vorschläge nur schleppend aufgegriffen hat.
3. Der crossmediale Transformationsprozess kann nur zusammen mit den Beschäftigten vorangebracht werden. Bei der Realisierung gemeinsamer Ausspielwege von Fernsehen-Hörfunk-Online darf der interne Druck nicht zu groß werden. Verwaltungsräte sollten ein Auge darauf haben. Generell ist dieser Weg jedoch wegen der veränderten Mediennutzung alternativlos und unumkehrbar.
4. Es gibt enormen Reformbedarf der internen ARD-Strukturen: Die ARD-weite Harmonisierung der Compliance-Regeln muss im betrieblichen Alltag umgesetzt werden. Die Erstellung eines gemeinsamen Corporate Governance Kodex für Aufsicht und Operative für gute Unternehmensführung steht an und erfordert seitens der GVK viel Koordinierungsarbeit. Mein persönlicher Rat an die Gesetzgeber der Länder lautet: Die Abkehr von der nicht mehr zeitgemäßen Intendantenverfassung und die Einführung einer kollegialen Direktorialverfassung analog eines Vorstandsmodells wie in anderen öffentlich-rechtlichen und privaten Unternehmen gehört auf die Tagesordnung.
Last but not least: Ohne die Verbesserung der Unabhängigkeit und Arbeitsfähigkeit der Gremien und einer adäquaten Ausstattung der Gremienbüros sind die Anforderungen an die ehrenamtlichen Räte nicht zu bewältigen.
12.7.2023