"Wir müssen uns immer wieder selbst ermahnen"

Als aufsichtführendes Gremium für den gemeinschaftlichen Sender "Das Erste" beschäftigt sich der ARD-Programmbeirat seit jeher mit Qualität. Wie blickt also sein Vorsitzender auf eine Qualitätsrichtlinie der ARD?

Von Dr. Hermann Kuhn, Vorsitzender des ARD-Programmbeirats

Könnte der ARD-Programmbeirat seine Arbeit auch in Zukunft ohne die nun im neuen Medienstaatsvertrag gesetzlich beauftragte Qualitätsrichtlinie fortsetzen? Könnte er sich wie bisher das Programm des Ersten linear und nichtlinear ansehen, bewerten und seine Schlussfolgerungen mit den Programmverantwortlichen erörtern? Eindeutig: Ja. Wird der Programmbeirat aus Richtlinie und Leitfaden, wenn sie denn vorliegen, einen Nutzen für seine Arbeit ziehen können? Ebenso eindeutig: Ja. Deshalb haben sich die neun Mitglieder des Programmbeirats in diesem Gremium und in ihren jeweiligen Rundfunkräten intensiv mit dem ersten und nun zweiten Entwurf der Qualitätsrichtlinie der ARD beschäftigt.

Der Nutzen der Richtlinie wird hoffentlich darin liegen, dass wir uns immer wieder die Gesamtheit, das heißt auch die Vielfalt der Ziele des Gemeinschaftsprogramms und damit auch der Erwartungen der Zuschauerinnen und Zuschauer, vor Augen führen. Dass wir uns auch immer wieder selbst ermahnen, unsere eigene, durch lange Erfahrung erworbene, Perspektive in Frage zu stellen, daran zu denken, dass die ARD verpflichtet ist, Programm für alle zu machen. Für alle, das heißt eben auch Vielfalt der je besonderen Qualitätsmerkmale der Angebote.

Wirklich für alle? Für den Programmbeirat ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass die Richtlinie möglichst klar definiert: der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine Säule der Demokratie und deshalb endet die Pflicht zur Vielfalt dort, wo das Grundgesetz in seinem Kerngehalt angegriffen wird. Und die Verpflichtung zur Vielfalt im Ganzen darf nicht bedeuten, dass jede einzelne Sendung in einem farblosen Sowohl-als-auch enden muss. Diese Fragen haben den Programmbeirat gerade in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt.

Besonders haben wir in der Diskussion um den ersten Entwurf darauf gedrungen, dass unsere Arbeit nicht mit wissenschaftlichen Analysen verwechselt werden darf. Wir sprechen bei unseren monatlichen Beratungen (hoffentlich ordentliche) Alltagssprache, nicht in Kategorien der Wissenschaft. Denn wir vertreten wie die Rundfunkräte, aus deren Mitte unsere Mitglieder entsandt sind, die Allgemeinheit. Deren Sprache müssen wir deshalb sprechen. Und müssen dafür auch in Kauf nehmen, dass unseren Beobachtungen und Ratschlägen auch mal die empirisch-analytische Tiefe fehlt – hoffentlich aber dennoch nicht die Treffsicherheit.

Abschnitt II des Entwurfs hat uns stark beschäftigt, da er die Architektur der Aufsicht und Beratung ARD-weit beschreibt. Mit der Idee, den Programmbeirat zu einer Art "Super-Rundfunkrat" zu machen, waren auch wir gar nicht einverstanden, das wird es nicht geben. Aber die Richtlinie kann die Tür weiter öffnen für die Zusammenarbeit zwischen den Gremien in der ARD. Wir selbst haben erste Schritte gemacht mit einer Kooperationsvereinbarung mit dem Telemedienausschuss der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz und mit gemeinsamen Beobachtungen etwa der politischen Talks und jetzt der Wirtschaftsberichterstattung, jeweils mit den zuständigen Programmausschüssen.

Man sieht, die neue Richtlinie wird auch hilfreich sein können.

2.11.2023