Gastbeitrag der Historischen Kommission

Meinungs- und inhaltliche Vielfalt wird zurecht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet. Zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen dies nicht selbstverständlich war und man Begriffe wie "Rotfunk" oder "Schwarzfunk" für einzelne Landesrundfunkanstalten verwandte – je nachdem, ob sie links von der CDU/CSU und FDP oder rechts von der SPD geführt wurden.

"Rotfunk" vs. "Schwarzfunk" in den 70ern und 80ern

Einigen Rundfunkanstalten wurde in den 1970er und auch noch den 1980er Jahren bisweilen eine einseitige politische Berichterstattung in die eine bzw. andere Richtung vorgeworfen. WDR, Radio Bremen, NDR und hr wurden gerne mit "Rotfunk" betitelt und vor allem der BR als "Schwarzfunk". Damals boykottierte der BR diverse Sendungen, die ihm zu linkslastig waren. Berühmt geworden sind etwa das Ausklinken des BR aus dem Ersten Fernsehprogramm bei Kabarett-Sendungen wie Dieter Hildebrandts "Scheibenwischer" oder der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, aber selbst Folgen der Sesamstraße missfielen dem BR und auch das vom SWF produzierte Jugendmagazin "Zoom" war in Bayern nicht zu sehen.

Wie wird Ausgewogenheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk definiert?

Heute kann man m. E. den einzelnen Sendern politische Einseitigkeit nicht vorwerfen. Es sei im Übrigen daran erinnert, dass der Begriff der Ausgewogenheit nicht bedeutet, dass jede einzelne Sendung ausgewogen sein muss, sondern nur das Gesamtprogramm. Pointierte Meinungen, z. B. Kommentare, sind daher durchaus zulässig und im Sinne des Meinungspluralismus erwünscht, solange das Gesamtprogrammangebot nicht einseitig ist und das Gebot der gesellschafts- und parteipolitischen Neutralität beachtet wird. Die Länder haben im § 26 des Medienstaatsvertrags den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den das BVerfG wiederholt beschrieben hat, konkretisiert und besonders den Auftrag zur Information, Bildung, Beratung und Kultur unterstrichen.

ARD und ZDF werden von manchem vorgeworfen, sie bildeten nicht die Vielfalt der Meinungen in ihren Programmen ab und erfüllten nicht oder zumindest nicht ausreichend ihren gesetzlichen Auftrag. Ganz aktuell haben einige Bürger vor Verwaltungsgerichten gegen die Zahlung des Rundfunkbeitrags mit der Begründung geklagt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfülle seine Verpflichtung zur Abbildung der Meinungsvielfalt nicht. Mittlerweile liegt der Streit beim Bundesverwaltungsgericht, das die Revision gegen ein klageabweisendes Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugelassen hat. Es hat ausgeführt, die Revision könne "Gelegenheit zu Klärung der Frage geben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden kann, der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkfunkanstalten, ein die Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten, werde strukturell verfehlt, so dass es an einem individuellen Vorteil fehle". Auf das Urteil darf man gespannt sein, offensichtlich sieht das Bundesverwaltungsgericht Anlass, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Abbildung von Meinungsvielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Schaut man sich einmal das gesamte Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an, so lässt sich m. E. schwerlich behaupten, es bilde das Meinungsspektrum in unserer Gesellschaft nicht ausreichend ab. Oft wird von Kritikern nur aufs Erste oder Zweite Fernsehprogramm geschaut, aber das ist verkürzt. Denn ARD und ZDF erfüllen ihren Auftrag mit ihrem Gesamtangebot (inklusiv der inzwischen etablierten Mediathek), also auch mit ihren Spartenprogrammen, deren Inhalte mit in den Blick genommen werden müssen. Gerade dort finden sich viele Beiträge, die eine breite Information über die unterschiedlichen Meinungen und gesellschaftlichen Positionen zu vielen Themen unserer Zeit abbilden. Crosspromotion darauf im Ersten wäre allerdings wünschenswert.

Überprüfung und Sicherstellung inhaltlicher Vielfalt im Programmangebot

Meinungsvielfalt ist allerdings nicht das einzige Kriterium, das das öffentlich-rechtliche Gesamtangebot erfüllen muss. Ebenso wichtig ist die Erfüllung des Auftrags zur inhaltlichen Vielfalt. Und hier gibt es seit Längerem Kritik am Programmangebot im Fernsehen bei ARD und ZDF; zu viele Krimis, Quizsendungen und Unterhaltung zur Hauptabendsendezeit und Dokumentationen und Hintergrundberichten würden in den späten Abend verdrängt. Auch die Talkshows im Ersten und Zweiten erfahren Kritik. Diese konzentrierten sich nur auf wenige aktuelle Themen, oft zum x-ten Male, ließen zu viele und immer wieder dieselben Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten zu Wort kommen und der Informationsgehalt und -gewinn dieser Talkrunden seien für den Zuschauerinnen und Zuschauer gering. Und es würden Unversöhnlichkeit und Zerstrittenheit inszeniert, anstatt der Polarisierung und dem Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenzuwirken. Zurecht haben die Gremien der ARD schon vor einiger Zeit eine Überprüfung der Talkshowkonzepte und -gäste gefordert. Erste Veränderungen sind etwa bei Maischberger und Caren Miosga bereits festzustellen. Leider sind frühere 45-minütige Sendungen wie "Pro und Contra" oder "Hauser & Kienzle", in denen zwei gegensätzliche Meinungen mit konkreten Argumenten vertreten wurden und die auf diese Weise viel zur Meinungsbildung beigetragen haben, eingestellt worden. Heute unterstützt dieses Ziel erfreulicherweise die noch junge Sendung "Die 100", die aus meiner Sicht gut gelungen ist.

Blick über den nationalen Tellerrand hinaus notwendig

Aber auch das sonstige Programmangebot nimmt zu wenige Themen in den Blick, die über den nationalen Tellerrand hinaus gehen, wie z. B. der Chefredakteur von ARD-aktuell, Marcus Bornheim, 2023 selbst eingeräumt hat. Viele Ereignisse und Themen aus der Welt hätten nur einen geringen Platz in der Berichterstattung in Talkshows und anderen Sendungen. In der Tat: die Länder des globalen Südens befinden sich im toten Winkel der medialen Berichterstattung, obwohl dort 85 % der Weltbevölkerung leben. Dortige fundamentale Ereignisse und Entwicklungen mit dramatischen gesellschaftlichen und menschlichen Auswirkungen, wie etwa die Kriege im Jemen oder Tigray und vielen Regionen Afrikas kommen kaum vor, obwohl sie oft bis Europa gesellschaftspolitische Auswirkungen haben, wie etwa Kriege, die Zerstörung von Lebensräumen durch die Klimaveränderung und daraus resultierenden Flüchtlingsströme. Auch der globale Hunger und seine Gründe, den rund 10 % der Weltbevölkerung erleiden, ist meist nur Thema in Sendungen mit Spendenaufrufen wie "Ein Herz für Kinder".

Appell für mehr Positivität in der journalistischen Berichterstattung

Und wäre nicht auch mehr konstruktiver Journalismus wichtig, der zeigt, was positiv und erfolgreich verläuft, statt sich primär um das zu kümmern, das nicht gut läuft und auch einmal nicht nur die Probleme benennt, sondern auch Möglichkeiten zu deren Lösung aufzeigt? Leider setzt sich das Negative einfacher und stärker im Kopf fest als das Positive, was heute mit "Negativity Bias" umschrieben wird und zu einer negativen Grundstimmung in der Gesellschaft führen kann. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht vom Übergang von der Mediendemokratie zur Empörungsdemokratie und plädiert dafür, dass sich der real existierende Journalismus ändert und ein neues, weniger asymmetrisches, stärker von Transparenz und dem Ideal des Dialogs geprägtes Berufsbild entwickelt. Man könnte z. B. einmal berichten, dass laut aktuellem Glücksatlas die Deutschen wieder zufriedener sind, trotz vieler Probleme unsere Zeit.

Die ARD-Gremien haben mit den programmlichen Qualitätsrichtlinien wichtige und richtige Entscheidungen getroffen. Diese gilt es nun im Sinne von mehr programmlicher Vielfalt umzusetzen. Dazu habe ich im Gremiennewsletter Nr. 2/2024 schon einige Anregungen gegeben.

11.12.2024